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Arbeitsangebot in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Timo Boppart, Professor für Makroökonomik und Politische Ökonomie an unserem Department, hielt seine Antrittsvorlesung zum Thema „Arbeitsangebot in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft“.

In seiner Antrittsvorlesung stellte Timo Boppart, der im August 2024 als Professor für Makroökonomik und Politische Ökonomie ans Department of Economics kam, zentrale Erkenntnisse aus seiner jüngsten Forschung zum Arbeitsangebot vor.

Bekannt dafür, gängige makroökonomische Theorien herauszufordern, präsentierte Boppart dem Publikum eines der langlebigsten Rätsel des Fachs: In einer Ära unaufhaltsamen Produktivitätswachstums und explodierender Reallöhne – warum arbeiten wir immer noch ungefähr genauso viele Stunden wie unsere Grosseltern, oder in vielen Ländern sogar deutlich weniger?

„Wer arbeitet, wer sollte arbeiten und wie viele Stunden sollte unsere Gesellschaft insgesamt arbeiten?“ So lauteten Bopparts einleitende Fragen. Es sind keine abstrakten Probleme, sie prägen Steuerpolitik, Ungleichheitsdebatten und unser gesamtes Fortschrittsverständnis. Dennoch bleibt das Arbeitsangebot (also die Bereitschaft der Menschen, Zeit gegen Einkommen zu tauschen) in der Mainstream-Makroökonomik merkwürdig vernachlässigt. Konjunkturanalysen werden von Nachfrageschocks dominiert, während das Angebot oft als langweilige Konstante wegmodelliert wird. Boppart hat seine gesamte Karriere damit verbracht zu zeigen, dass diese Vernachlässigung ein Fehler ist und dass die langfristigen Daten zu den geleisteten Arbeitsstunden weit mehr Aufmerksamkeit verdienen als ihnen die Literatur traditionell geschenkt hat.

Konstante Arbeitsstunden trotz steigender Löhne

Das stilisierte Faktum, das tausende Modelle inspirierte, ist einfach: In den Nachkriegs-USA lagen die durchschnittlichen Jahresarbeitsstunden pro Erwerbsperson (15–64 Jahre) über Jahrzehnte hinweg bemerkenswert stabil bei etwa 1.300 Stunden, es zeigte sich kein klarer Aufwärts- oder Abwärtstrend, obwohl die Löhne exponentiell stiegen. Die Standardtheorie findet diese Konstanz rätselhaft. Höhere Löhne wirken in zwei Richtungen: Der Substitutionseffekt macht Arbeit attraktiver im Vergleich zur Freizeit und fördert längere Arbeitszeiten, der Einkommenseffekt wirkt genau entgegengesetzt – wer reicher wird, kann sich mehr Freizeit „leisten“. Damit die Arbeitsstunden langfristig trendlos bleiben, müssen sich die beiden Effekte exakt aufheben. Die klassische Lösung (verewigt von King und Rebelo in den 1980er Jahren) besteht in einer ganz bestimmten Präferenzform, bei der der Einkommenseffekt auf Freizeit den Substitutionseffekt durch stetiges Produktivitätswachstum genau ausgleicht. Diese Präferenzen wurden zum Standard-Arbeitspferd moderner Makromodelle.

Doch die amerikanische Ausnahme ist genau das – eine Ausnahme. Schaut man über Ländergrenzen oder weiter in die Geschichte zurück, zeigt sich ein ganz anderes Bild. Von 1950 bis heute sind die durchschnittlichen Arbeitsstunden in den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften kontinuierlich gesunken, oft mit einem stetigen Tempo von etwa 0,4 bis 0,5 Prozent pro Jahr. Boppart zeigte überzeugende Grafiken: moderate, aber beharrliche Rückgänge in Schweden, Deutschland, Frankreich und vielen anderen Ländern. Selbst die USA, das Vorzeigeland konstanter Arbeitsstunden, scheinen sich diesem Trend nun anzuschliessen.

Kann ein stetig sinkendes Arbeitszeitniveau mit einer stabilen Nutzenfunktion und einem ausgewogenen Wachstumspfad für Konsum und Löhne vereinbar sein? Jahrzehntelang schien die Antwort „nein“ zu lauten, es sei denn, man gab genau jene Präferenzen auf, die die amerikanische Konstanz erklärten. Boppart und seine Koautoren haben diese Schlussfolgerung inzwischen widerlegt. In einer Reihe neuerer Arbeiten charakterisieren sie eine breitere Klasse von Präferenzen, die es erlauben, dass die Arbeitsstunden entlang eines ausgewogenen Wachstumspfads sinken. Der entscheidende Parameter ist ν (nu): der Anteil jedes Produktivitätszuwachses, den die Menschen lieber in Form von mehr Freizeit als in mehr Konsum umsetzen. Ein moderater Wert von ν ≈ 0,2 reicht bereits aus. Bei einem historischen Produktivitätswachstum von 2 Prozent pro Jahr sinken die Arbeitsstunden dann natürlich um etwa 0,4 Prozent jährlich – genau die in den Daten beobachtete Rate.

Warum wir in Zukunft möglicherweise weniger arbeiten werden

Weniger Arbeitsstunden sind also kein schlechtes Zeichen. Meist bedeutet es, dass die Menschen pro Stunde mehr schaffen. Wenn das Einkommen steigt, entscheiden sich viele dafür, mehr Freizeit zu geniessen, viel stärker als die Literatur uns bisher glauben liess.

Boppart wandte sich anschliessend einer langjährigen Debatte zu: Können Steuern den transatlantischen Arbeitsstundenunterschied und den säkularen Rückgang erklären? Edward Prescott argumentierte 2004 bekanntlich, dass Unterschiede bei den Grenzsteuersätzen erklären könnten, warum Europäer weniger arbeiten als Amerikaner. An der Steuergeschichte ist zweifellos etwas dran, doch Boppart mahnte zur Vorsicht: Sie kann Vorkriegstrends kaum erklären und setzt voraus, dass Steuereinnahmen pauschal zurückerstattet werden.

Für die Zukunft wagt Boppart eine Prognose: Die Arbeitsstunden werden weiter sinken – auch in den USA. Erwerbsquoten können nicht ewig steigen, und dieselben Kräfte, die anderswo den säkularen Rückgang antrieben, wirken weiter. Er steht mit dieser Einschätzung nicht allein da. Greg Mankiw hat bereits angedeutet, dass höhere künftige Steuern und grösserer Wohlstand die Arbeitswochen verkürzen werden, und der Wirtschaftshistoriker Joel Mokyr erwartet, dass fortschrittliche Technologie lästige Aufgaben übernimmt und den Menschen mehr Freiraum lässt, ausser sie wollen freiwillig mehr arbeiten.

Die komplette Antrittsvorlesung können Sie hier ansehen.
Zu seiner Website.

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